Liebe Vahrendofer Gemeindemitglieder!
Für den Sonntag nach Ostern ist einer meine Lieblingstexte aus der Hebräischen Bibel als Grundlage für die Predigt vorgeschlagen:
„Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde und matt. Sein Verstand ist unausforschlich. Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Männer werden müde und matt, Jünglinge straucheln und fallen. Aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“ (Jesaja 41,28-31)
Diese Jesaja-Worte haben mich immer wieder gefreut. Über viele Jahre hat mich dieser wunderbare Text begleitet. Oft war ich unterwegs, um an Volksläufen, Langstreckenläufen oder Marathons teilzunehmen – auch im Forst Rosengarten bin ich vor Jahren so manchen Halbmarathon gelaufen. Und immer wieder fühlte ich mich, wenn ich 15, 20, 30 oder noch mehr Kilometer in den Beinen hatte, ziemlich müde und matt. Jesaja hat – so finde ich – Worte für Langstreckenläufer geschrieben.
Auch der so ganz andere Alltag in diesen Corona-Zeiten erscheint mir wie ein Langstreckenlauf. Einen Teil des Weges haben wir hinter uns, doch das Ziel scheint noch in weiter Ferne zu liegen. Wann unser Leben wieder „normal“ sein wird, ist noch nicht abzusehen. Wir sind auf Distanz zu anderen – beim Einkauf, im Freundeskreis und oft auch in den Familien. Weiterhin müssen wir auf Abstand gehen zu anderen Menschen, sollen Verwandte nicht besuchen und Freunde nicht zum gemütlichen Abend einladen, nicht mit den Nachbarn bei Kaffee und Kuchen zum Klönschnack zusammenkommen. Auch unsere Gottesdienste und Gemeindegruppen sind noch ausgebremst. Nicht wenige machen sich Sorgen um ihre berufliche Zukunft. Und ein Ende kann im Moment noch niemand so richtig absehen. Noch prägt die Sorge vor erneut steigenden Infektionen die Politik und unseren Alltag. Wir alle werden wohl einen langen Atem brauchen, und unser Durchhaltevermögen wird auf eine Belastungsprobe gestellt.
„Aber die auf den Herrn harren kriegen neue Kraft…“ Die Jesaja-Worte entführen uns in alte Zeiten des Volkes Israel. Auch damals war Durchhalten das Motto, obwohl es fast unmöglich schien, dass es am Ende des dunklen Tunnels Licht geben würde. Denn das Volk lag am Boden. Ein Krieg war verloren, Jerusalem zerstört, der Tempel in Schutt und Asche, viele Jerusalemer – Männer, Frauen, Kinder – waren nach Babylon verschleppt. Und dort, in der babylonischen Gefangenschaft, waren die Menschen von Sorgen und Ängsten beherrscht. Sie sahen ihr Leben in Scherben – und ihren Glauben auch: Zerschlagen das Vertrauen zu Gott.
Hatte Gott sie womöglich vergessen? War der babylonische Gott Marduk vielleicht doch mächtiger und stärker? Die nach Babylon Verschleppten verstanden Gott und die Welt nicht mehr: „Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber.“ (Jesaja 40,27)
In diesem Moment trat der Prophet auf: „Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.“
Großartig und ermutigend. Der Prophet lenkt den Blick um. „Ihr seid nicht vergessen!“, ruft er den Menschen in der Gefangenschaft zu. Seine Mutmachbotschaft will die geknickten Seelen erreichen, die auf dem langen Weg nach Hoffnung und neuer Stärke lechzen: „Gott hat euch nicht vergessen. Er beschenkt euch reichlich. Jetzt fühlt euch vielleicht müde und schlapp, könnt vemutlich nicht einmal weiter als bis zum nächsten Tag kucken. Aber ihr werdet wieder Luft unter die Flügel bekommen. Ihr dürft darauf vertrauen, dass Gott euch begleitet. Ihr werdet die Sonne wieder genießen. Ihr werdet wieder lachen. Ihr werdet erfahren, dass ihr bei Gott wie in einer hohlen Hand geborgen seid.“
Von Jesaja erreichen uns österliche Worte. Sie machen Mut, nicht aufzugeben und durchzuhalten. Darauf zu vertrauen, dass es weitergehen wird, auch wenn einem die Puste auszugehen droht. Darauf zu bauen, dass ein selbstgestecktes Ziel, eine Herausforderung bewältigt werden kann. Darauf zu hoffen, dass Gott uns hält und trägt, auch wenn uns der Weg beschwerlich erscheint und kein Ende abzusehen ist. Bei manchem Langstreckenlauf habe ich mich zwischendurch gefragt, ob ich nicht aufhören sollte. Doch dann, wenn ich durchgehalten habe, wenn ich durchs Ziel gelaufen bin, wenn ich auf die lange Strecke zurückgeblickt habe, hatte ich immer das Gefühl: Ich habe die Kraft und die Stärke gehabt, die ich brauchte, um durchzuhalten.
Jesaja schreibt eine österliche Zusage: Gott ist mit uns nicht am Ende. Im Gegenteil. Gott leuchtet in dunkelsten Momenten mit seinem Licht des Lebens, das nie verlöschen wird. Er gibt gerade dann neuen Lebensatem, wenn uns die Seele einzuknicken droht. Es wird um Gottes willen immer wieder einen Tag mit neuen Möglichkeiten und neuen Wegen geben.
Amen.
Ihr Pastor Jörg Pegelow